Rezension und  Empfehlung

Der Salzpfad

Ein Menschenschicksal wird durch die Natur beeinflusst von Raynor Winn

 

„Als wir aus dem Dunkel unter der Treppe krochen, drehte sich Moth um. „Wir beide?“ „Für immer.“ Wir standen an der Haustür, die Gerichtsvollzieher auf der anderen Seite warteten schon ungeduldig darauf, das Schloss auszuwechseln, uns aus unserem alten Leben auszusperren. Gleich würden wir das spärlich beleuchtete, jahrhundertealte Haus verlieren, das zwanzig Jahre lang unser Kokon gewesen war. Wenn wir durch diese Tür traten, würden wir niemals zurückkehren können. Wir hielten uns an den Händen und gingen ins Licht.“ (Seite 17)

 

Das Cover hat mich angezogen und der Klappentext direkt überzeugt, diese Geschichte zu lesen.

 

Dieses Buch trifft eine tiefe Wunde in mir. Es zeichnet die Ängste der Menschen vor Verlusten so detailliert und maßstabsgetreu wieder, dass ich es bis ins Mark spüren kann. Ungläubig lese ich, wie nicht nur Unrecht zu Recht gesprochen wird, sondern auch, dass Menschen, denen es eindeutig besser geht, über andere urteilen und werten, ohne Wissen darüber, was die Ursachen ihres Zustandes sind.

 

Ray und Moth – Beide Anfang fünfzig, eine Liebe seit Jugendzeiten, arbeiten hart und leben ihren Traum auf einer eigenen Farm in Wales mit ihren zwei Kindern. Sie schenken Menschen glückliche Stunden, bis ihnen selbst die glücklichen Zeiten ausgehen. Gier und eine unverständliche Rechtsauslegung machen sie obdachlos. Nach einer ärztlichen Todesansage entscheiden sie sich verzweifelt – zu wandern. Den 1014 km langen South West Coast Path ihrer Heimat Großbritanniens.
 

Diese Geschichte ist nicht einfach ein Bericht über eine Reise durch die Natur, sie ist eine Offenbarung. Schockierend real, spannend, bedrückend, verzweifelt, hoffnungsvoll, liebestrunken und naturverliebt und breitet seine mentale Stärke mit jedem Kapitel vor uns aus. Es liegt am Leser selbst, ob er die Kraft und beinahe unerschöpfliche Willensstärke zweier Menschen in sich aufnehmen und fühlen kann.

 

Ich hatte Schmerzen, weil ich ihre Hilflosigkeit spüren konnte. Ich fühlte Freude bei jedem noch so kleinen Sieg über ihre Angst. Ich genoss die Wärme jeder mitfühlenden menschlichen Begegnung. Und trotz ihrer schicksalhaften Fügungen und ihres schweren Weges findet die Erzählerin, Raynor Winn, immer Worte der Anteilnahme am Leben der anderen, gleich ob begünstigte oder strauchelnde Menschen.

 

Wenn uns eine reale Geschichte zeigt, wie schwierig es für uns Menschen ist, nur mit der Natur und minimalistischen Möglichkeiten zu überleben, können wir erkennen, dass wir uns mit unserer Zivilisation zu weit in eine künstlich hergestellte Welt transformiert haben. Ich schlage meine Hände vors Gesicht und weiß, wir müssen umkehren, sonst überleben wir nicht. Nicht einer.

 

Meine Empfehlung: Absolut lesenswert, für jeden der Natur liebt und auch bereit ist sich selbst zu hinterfragen.